Göttin der Gegensätze
Ur-Ahnin, Tödin, Wintergöttin, Seelenführerin, Spinnerin des Schicksals – die Percht ist eine facettenreiche Gestalt, die unter vielen Namen bekannt ist: Holda, Holla, Hulda, Berchta und im Norden auch als Hel oder Huldre.
Der Holunderstrauch, der in vielen Regionen als ihr heiliger Ort verehrt wird, trägt den althochdeutschen Namen „Holuntar“, was „Baum der Frau Holle“ bedeutet. Im Englischen wird der Holunder als „Elder Tree“ bezeichnet und verweist so auf ihre Verbindung zu den Ahnen.
Ihr Name hat mehrere Wurzeln: Einerseits das althochdeutsche „perath“, was „leuchtend, strahlend“ bedeutet, andererseits „pergan“, was „verbergen, verhüllen“ heißt. Beide Bedeutungen spiegeln ihre Ambivalenz wider: Sie ist die Gebieterin über Leben und Tod, die Licht und Schatten gleichermaßen verkörpert.
Viele Orte tragen noch heute ihre Spuren, wie etwa Holland, Helsinki, Perchtoldsdorf, Hollabrunn (Brunnen der Holle), die Reinprechtsdorferstraße und die Prechtlgasse in Wien, sowie die Stadt Perg in Oberösterreich, deren Wappen sogar die alten Farben der dreifaltigen Göttin zeigt: weiß, rot und schwarz.
Die mythologische Gestalt der Percht erscheint in verschiedenen Formen in der germanischen und slawischen Mythologie. Es wird angenommen, dass sie aus der Verschmelzung keltischer Elemente mit der nordischen Göttin Frigg hervorgegangen ist. Ihre Funktionen und Attribute überschneiden sich mit anderen alten Muttergottheiten, die für Fruchtbarkeit, Schicksal und Ordnung stehen.
Die Percht wohnt in den Bergen, in geheimen Höhlen, an klaren Brunnen und in tiefen, mystischen Wäldern. Sie ist die Hüterin des Spinnens und Webens, die unermüdlich den Faden des Lebens spinnt und über die Seelen der Verstorbenen wacht, sie sicher in die Unterwelt führend. In Brunnen und Teichen hütet sie auch die Seelen der ungetauft verstorbenen Kinder.
Mit der Christianisierung Europas erfuhr die Percht eine Wandlung: Aus der verehrten Göttin wurde eine Dämonin, die mit Strafen und Furcht in Verbindung gebracht wurde. Doch trotz dieser Entwertung blieb sie im Volksglauben lebendig. Besonders in den Alpenregionen erzählt man noch heute zahlreiche Sagen über sie, und die Perchtenläufe, die ihren Namen tragen, sind eine Tradition, die ihre Bedeutung wachhält.
Lebendige Bräuche – Von Schönperchten und Schiachperchten
Die alpenländischen Perchtenumzüge zeigen besonders deutlich die beiden Facetten der Percht.
Schönperchten, geschmückt mit Spiegeln und glänzendem Schmuck, repräsentieren Licht und Lebensfreude.
Schiachperchten hingegen, mit furchteinflößenden Masken und umgehängten Glocken, stehen für Dunkelheit und Chaos. Beide Aspekte gehören zusammen und spiegeln den Kreislauf des Lebens wider.
Während die Schiachperchten oft in großer Zahl und mit lautem Getöse in der Nacht auftreten, erscheinen die Schönperchten am Tage und wünschen den Dorfbewohnern Glück und Segen.
Die Frau Percht selbst wird oft mit zwei Gesichtern dargestellt: vorne eine Hexen- oder Teufelsmaske, hinten ein strahlendes Sonnengesicht. Dies symbolisiert die Dualität des Winters: die harte, entbehrungsreiche Zeit und gleichzeitig den Beginn des neuen Lichts, wenn die Tage wieder länger werden.
Die Percht und die Rauhnächte
Als Wintergöttin sind die Rauhnächte (vom 25. Dezember bis 6. Januar) ihre Zeit. In diesen Nächten steigt sie von den hohen Bergen herab, um mit ihrem scharfsinnigen Blick für Gerechtigkeit Ordnung in die Welt zu bringen. Ohne Gnade zieht sie mit ihrem Wilden Heer wie ein Sturm über das Land, straft die Frevler und Ungehorsamen und holt die Seelen der Sterbenden zu sich.
Während dieser Tage und Nächte prüft die strenge Percht das Verhalten der Menschen. Ihre Belohnungen und Strafen sind eng mit den Themen Ordnung, Fleiß und Ehrlichkeit verknüpft.
Besonders das Spinnen spielt eine Rolle: Wer seine Arbeit abgeschlossen hat, wird mit Glück gesegnet, während Faulheit und Unachtsamkeit bestraft werden.
In der Unterwelt, dem Jenseitsparadies, spinnt sie selbst den Faden des Schicksals, der den Menschen während dieser besonderen Zeit neu zugeteilt wird. Aus diesem Schicksalsfaden weben die Menschen ihr Leben für das kommende Jahr – und nur Frau Percht, die Hüterin des Schicksals, weiß, was vor uns liegt.
Besonders für Frauen sind die Regeln von Percht streng
In früheren Zeiten standen die Spinnstuben unter dem Schutz der Percht. Diese waren nicht nur Orte des Handwerks, sondern auch der Gemeinschaft und des Austauschs – ein Raum, in dem Frauen Politik machten, Ideen spannen und Netzwerke knüpften. Als Schutzherrin der Spinnstuben verbietet die Percht in den Rauhnächten das Spinnen, Weben, Waschen und Putzen. Alle Räder – sei es das Spinnrad oder sogar die Räder von Fahrzeugen – sollen ruhen.
Die Winterzeit, in der diese Gesetze gelten, war früher eine der wenigen Zeiten, in der sich die landwirtschaftlich arbeitenden Menschen ausruhen konnten. Wäsche waschen, das Aufhängen der Wäsche und das Putzen waren mühsame Arbeiten, die vor allem Frauen viel Kraft und Zeit kosteten.
In dieser stillen Phase erinnert die Percht daran, die eigene Energie zu schonen, sich nicht noch mehr zu erschöpfen.
Percht als Beschützerin der Frauen
Die Percht, als uralte Hebamme in Leben und Tod, ist damit insbesondere eine Schutzgöttin der Frauen.
Sie erinnert die Menschen – besonders Frauen – daran, dass diese Zeit eine Rückkehr zu den natürlichen Rhythmen ist, in denen sich die ganze Natur, auch die Pflanzen und Tiere, den Gesetzen des Lebens und des Regenerierens anpasst. Diese Zeit ist nicht für die üblichen Arbeiten und Mühen bestimmt, sondern für das Zurückziehen, das Sammeln von Kräften und das Genießen der Ruhe.
Frauen, die dennoch gegen diese Gebote verstoßen und ihre Spinnräder betätigen oder Wäsche waschen, sollen laut alten Überlieferungen die Wut der Percht zu spüren bekommen. Sie würde mit ihrem Wilden Heer durch die Häuser fegen und die Wolle zerreißen, als Warnung, dass Frauen ihre Ruhezeiten nicht übergehen sollten.
Diese Regeln dienen nicht dazu, Frauen zu züchtigen, sondern sie vor Überlastung zu schützen. Percht ist damit eine Göttin der Fürsorge, die dafür sorgt, dass Frauen die nötige Ruhe finden und sich nicht von den vielen Aufgaben des Lebens überfordern lassen.
Die Percht und der Weg der Frau
In der Figur der Percht offenbart sich eine tiefere Wahrheit über die weibliche Spiritualität – sie ist nicht sanft und nachgiebig, sondern wild und ungezähmt.
Die Percht fordert uns heraus, unsere tiefsten Ängste zu konfrontieren, das Ungelebte in uns zu entdecken und uns der Tiefe unserer eigenen Seele zu stellen.
Ihre Präsenz ist zugleich ein Ruf und eine Aufforderung, uns mit der Dunkelheit in uns zu versöhnen, jene Aspekte unseres Seins anzunehmen, die oft im Schatten verborgen bleiben.
Luisa Francia schreibt: „Die Percht entzieht sich dem verkitschten Göttinnenbild, das häufig von Frauen so verehrt und geliebt wird. (…) Wenn wir die Percht ehren, erkennen wir an, dass es im Leben wilde Kräfte gibt, die sich nicht erklären, nicht schönreden lassen. Wir verbinden uns mit der Urkraft der Natur, in der alles seinen Platz hat.“ In: Francia, Luisa: Mit Göttinnen durch die Raunächte, Knaur 2021
Gerade für Frauen ist Percht eine Göttin der Rückverbindung. Sie spricht zu uns von der Weisheit, die im Inneren lebt und darauf wartet, entdeckt zu werden. Sie erinnert uns daran, dass die weibliche Energie – oft als sanft, fürsorglich und passiv wahrgenommen – ebenso wild, schöpferisch und zerstörerisch ist.
Die Percht lädt uns ein, diese Vielfalt zu feiern, uns von den gesellschaftlichen Erwartungen zu befreien und unseren eigenen, einzigartigen Weg zu gehen – und immer wieder ein wenig zu „spinnen“...
Einen empfehlenswerten, ausführlichen Artikel gibt es auch hier: https://artedea.net/percht-die-ge-barmutter/
Buchtipp: Renate Reuther: Enthüllungen über Holle, Percht und Christkind, Leipzig 2017
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