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  • AutorenbildKatharina Leitgeb

Bauch- Gefühl

Jetzt ist es soweit. Ich habe beschlossen, mich endgültig zu outen. Die Zeit ist reif für eine schonungslose Wahrheit. Also - tief durchatmen: Ich habe Bauch.

Ich weiß, ich bin damit nicht alleine, dennoch trachten wir Bauch - Trägerinnen tendenziell danach, diese Tatsache zu verschleiern.


Bauch und mich verbindet schon eine jahrzehntelange on/off Liebe. Bereits in ganz jungen Jahren machte ich die Erfahrung, dass Bauch im Ballettanzug die missbilligenden Blicke der gestrengen russischen Ballettlehrerin auf sich zog. Die Zicken im Gymnasium machten Bauch dann zur willkommenen Zielscheibe ihres Spottes.

Schon sehr bald war es für mich selbstverständlich, den Bauch permanent einzuziehen. Mit knackigen 17 Jahren und Kleidergröße 34 war Bauch dann fast verschwunden - aber eben nur fast. Bauch war weich und vorgewölbt und wollte einfach nicht so flach sein, wie es das Schönheitsideal vorsah.


Und er hatte (und hat bis heute) ein sehr sensibles Eigenleben: Zyklusphasen und bestimmte Nahrungsmittel sowie Situationen und Gefühle, die ich schwer verdauen konnte, ließen (und lassen) ihn unmittelbar reagieren und anwachsen.

Ich zwängte Bauch in monströse Bauch-weg-Unterhosen und rückte ihm mit speziellen Bauch- Diäten und Bauch- Bein-Po Gymnastik zu Leibe.

Mitte 20 wurde ich dann zum ersten Mal schwanger - da brach die glückliche Bauch - Zeit an. Endlich nicht mehr einziehen, sondern stolz zur Schau stellen. Bauch entwickelte sich prachtvoll, während der restliche Körper sich kaum veränderte. Nicht nur einmal wurde ich gefragt, ob ich denn Zwillinge erwarten würde - nein, es war nur Bauch, der sich so über die Aufmerksamkeit freute.


Der Aufprall in die Realität kam 2 Monate nach der Niederkunft, als mich eine interessierte Verkäuferin fragte, wann denn der Geburtstermin sei. Äußerlich nahm ich es mit Humor, doch innerlich nahm ich den Kampf gegen Bauch wieder auf.

Drei weitere Schwangerschaften ließen Bauch in der Folge wieder auf Medizinballgröße anwachsen und schrumpfen und mein Verhältnis zu meinen Rundungen wurde mit den Jahren deutlich entspannter.


Und ja: Ich bin meinem Bauch unendlich dankbar dafür, dass vier Kinder darin so sicher und geborgen heranwachsen durften. Dennoch und allem besseren Wissen zum Trotz ist mein Verhältnis zu ihm immer noch nicht ganz konfliktfrei.


Wenn ich im Bikini vom Liegestuhl zur Strandbar gehe, ziehe ich reflexartig den Bauch ein. Bikini Fotos im Sitzen? Never ever. In engen Kleidern finde ich meine Silhouette zu "schwanger"und verzichte darauf.


Irgendwann wurden Frauenbäuche (und nicht nur Bäuche, aber das ist eine andere Geschichte) zu "Problemzonen" erklärt, denen man mit aller Kraft und Disziplin zu Leibe rücken muss. Bauch muss trainiert oder jedenfalls kaschiert werden. Ich kenne wirklich viele Frauen, und darunter sind höchstens zwei oder drei, die kein Problem mit ihrem Bauch haben.


Lieber Bauch: es tut mir leid. Du bist so weich und weiblich und das Zuhause meines Bauchgefühls. Du hast ganz viel meiner Aufmerksamkeit und Zuwendung verdient. Dich zu verstecken, hieße einen Teil meiner Individualität zu verstecken.


Mein Bauch und ich: die Geschichte einer komplizierten Lebenliebe. Ich bin am Weg.

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